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Begegnungen mit Carl Amery und Herbert Gruhl

18:38:42 24.05.2023 gepostet von wirtz@superkabel.de um 18:38:42 24.05.2023

Begegnungen mit Carl Amery und Herbert Gruhl

 

Von Götz Fenske

 

Die Gefahren, die durch Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung hervorgerufen werden sind heute, nach jahrzehntelangen Debatten, durchaus weit bekannt, schließlich werden ökologische Probleme heute in den Medien in eingehender Weise dargestellt. Eine ganz andere Sache ist, dass die Menschen durch das, was sie über die reale Welt und über die langfristigen Chancen des Überlebens wissen, offensichtlich nicht ausreichend motiviert werden, ihr Verhalten zu ändern. Diese Bewusstseinsspaltung, die sich zwischen Wissen und praktischem Tun so schwarz und bedrohlich aufgetan hat, ist es, die uns heute in tiefe Sorge stürzt.

Als Datum des Beginns der Umweltdebatte wird meist das Jahr 1962 genannt, in dem Rachel Carsons Buch „The silent Spring“ erschien. Für Deutschland gilt aber, dass diese Umweltdebatte erst Ende der sechziger Jahre eine kritische Dimension erreichte und damit mehr wurde als ein Thema für Fachleute und gesellschaftliche Randfiguren. Und genau in diesen Jahren fanden Herbert Gruhl und Carl Amery zum Thema politische Ökologie, und dies blieb dann für beide bis an ihr Lebensende die zentrale Aufgabe, der sie ihr weiteres Leben widmeten. Die Buchveröffentlichungen, die aus der Feder Herbert Gruhls und Carl Amerys zur Thematik der politischen Ökologie in dem folgenden Jahrzehnt erschienen, hatten eine enorme, heute kaum vorstellbare Wirkung. Beiden wurde als Folge dieser Buchveröffentlichungen die Rolle von Vordenkern der Ökologiebewegung gewissermaßen auf den Leib geschrieben.

Aber was heißt Vordenker? Die nackten Fakten waren ja bekannt. Es waren

Erkenntnisse aus der Biologie, den Agrarwissenschaften, aus technischen Disziplinen und anderen Fachgebieten und der erste Club-of-Rome-Bericht hatte diese Fakten, zu einer eindrucksvollen Argumentationskette verbunden, 1972 der Weltöffentlichkeit präsentiert. Ohne diesen von Dennis Meadows und anderen verfassten Bericht hätten die Bücher von Amery und Gruhl nicht die Wirkung erzielt, die sie bei einem so breiten Publikum gefunden hatten. Nun war es so, dass die Prognosen des Club-of-Rome computerberechnet waren und dies machte sie damals in der Öffentlichkeit so unangreifbar. Es mischte sich hier die Wissenschaftsgläubigkeit der Moderne mit der mythischen Verehrung für einen ihrer neuesten Apparate, nämlich den Computer. Dagegen, so war die unausgesprochene Überzeugung, ist nun wirklich schwer etwas zu sagen. Der Club-of-Rome-Bericht enthält viele Tabellen, Grafiken und pure naturwissenschaftliche Fakten. Das Fachwissen, das sich aus diesen Daten ergab, hat vielfältige Auswirkungen auf Werturteile, politische Ziele und die private Lebensgestaltung, es muß also umgesetzt werden in Handlungsnormen und ethische Vorgaben.

Gruhl hat vorwiegend bearbeitet, was politisch geboten ist, der wortmächtige Amery hat die kulturhistorischen Wurzeln der ökologischen Krise behandelt und er hat argumentativ zu dem hingeführt, was heute ethisch geboten ist. Gruhl kam zum Thema politische Ökologie durch seine Tätigkeit als Politiker. Er sah jetzt aus der Nähe überdeutlich, dass das politische Handeln mit den Erfordernissen der Realität in keiner Weise übereinstimmte, nämlich mit der bloßen Sicherung des Überlebens in einer gar nicht so fernen Zukunft. Amery bearbeitete das ökologische Problem als kulturhistorisches Faktum und hier ist sein Ansatzpunkt das christliche Denken, mit seinem extrem ausgebauten anthropozentrischem Standpunkt, dem metakosmischen Gottesbegriff, der der Natur ganz banal den Charakter des Profanen zuschreibt, wo nichts Heiliges mehr zu finden ist und der christlichen Geschichtsinterpretation als Heilsgeschichte mit dem Endpunkt der Erlösung, also der eschatologischen Geschichtsinterpretation. Amery hat dies in seiner Buchveröffentlichung: „Das Ende der Vorsehung – Die gnadenlosen Folgen des Christentums“ 1972 dargestellt.

Geschichte im christlichen Verständnis wird als Heilsgeschichte verstanden, die mit dem Reich Gottes endet und dies ist letztlich bei den beiden anderen abrahamitischen Religionen, Judentum und Islam, nicht anders, die auf das Erscheinen des Messias bzw. das Paradies hoffen. Die Besonderheit in der europäischen Geistesgeschichte ist, dass eine auf Erlösung gerichtete religiöse Hoffnung mit Beginn der Neuzeit auf menschliches Tun, nämlich Naturwissenschaft und Technik, übertragen wird. Es ist in diesem Verständnis die Wissenschaft, mit der sich der Mensch selbst erlösen wird. Und diese Beweisführung ist nicht neu. Beispielsweise hat der Philosoph Friedrich Wagner vor Amery in seinem Buch „Weg und Abweg der Naturwissenschaft“, das 1970 erschien, diese geistesgeschichtliche Entwicklung materialreich beschrieben und belegt, aber Amery kommt das Verdienst zu, angesichts der ökologischen Krise die Verirrung von religiösen Glaubenshoffnungen in Wissenschaft und Technik als einen Weg in eine unglaubliche Selbstgefährdung des Menschen aktualisiert und einem breiten Publikum vor Augen geführt zu haben.

Es ist reizvoll, Amery und Gruhl in ihrer Biographie miteinander zu vergleichen. Gruhl, Jahrgang 1921, war kaum älter als der 1922 geborene Amery. Sie haben etwa gleichzeitig zum Thema Ökologie gefunden, Gruhl kam zur Ökologie über seine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter, Amery von seiner Position als katholisch orientierter Intellektueller, der in der technischen Zivilisation pervertierte religiöse Glaubenshoffnungen aufgespürt hatte. Beide haben zur ökologischen Problematik so etwas wie ein opus magnum auch nahezu zum gleichen Zeitpunkt veröffentlicht. Gruhls „Ein Planet wird geplündert“ erschien 1975, Amerys „Die ökologische Chance“ 1976.

Bekanntlich hat Gruhls Buch eine viel größere Auflage erreicht als das Buch von Amery, aber beide haben durch diese Veröffentlichung sich in gleicher Weise als ökologische Vordenker einen Namen gemacht, und für beide war durch diese Bücher gewissermaßen programmatisch der Rahmen für alle weiteren Arbeiten bis an ihr Lebensende hergestellt. Alles, was sie später zum Thema der politischen Ökologie geschaffen haben, war letztlich Ergänzung oder Aktualisierung einer Position, die sie in den genannten Jahren mit ihren Hauptwerken der Öffentlichkeit vorgelegt hatten. Wenn man heute das Buch „Ein Planet wird geplündert“ und Amerys „Die ökologische Chance“ in die Hand nimmt, dann sieht man, dass Gruhls Arbeit in ihrer Argumentation stärker zeitgebunden ist als Amerys Werk. Entscheidend ist aber die Gesamtbewertung und die lautet: Wir befinden uns in den Industrieländern auf einem Katastrophenkurs. Dass ein wenig bekannter Bundestagsabgeordneter ein so gewichtiges Buch zur Diagnose der Zeit vorgelegt hatte, wurde damals allgemein bestaunt, und wie ich mich noch deutlich erinnere, wurde dies vor allem auch bei Rezensionen in der überregionalen Presse hervorgehoben. Ich erwarb das Buch unmittelbar nach seinem Erscheinen, gehörte ich doch zu dem Teil des Publikums, das schon lange auf solche Veröffentlichungen gewartet hatte.

Zivilisationskritik und Warnung vor Naturzerstörung gab es natürlich schon vor vielen Jahrzehnten. Man denke nur an den heute zu Unrecht als bloß heimattümelnden Autor eingeschätzten Hermann Löns oder an die Zivilisationskritik in der Jugendbewegung des frühen zwanzigsten Jahrhunderts oder an Persönlichkeiten wie Ernst Rudorff, der bereits 1880 in seinem Aufsatz „Über das Verhältniß (sic) des modernen Lebens zur Natur“ völlig klarsichtig dargestellt hat, wie unsere Heimatnatur durch intensivere Naturnutzung mehr und mehr verhunzt wurde. Und Mitte der siebziger Jahre gab es schon eine größere Zahl dezidiert politisch-ökologisch orientierter Bücher. Aber an Gruhls Buch und vor allem an seinen Autor wurden besonders hohe Erwartungen geknüpft. Die Vorstellung war: Hier ist jemand, der nicht nur beklagt, was aufmerksamen naturverbundenen Zeitgenossen in groben Umrissen schon bekannt ist, oder was sie zumindest schon geahnt haben, sondern hier meldet sich sehr kompetent jemand zu Wort, der aus dem Kreis der Politiker kommt, der also weiß, was hinter den Kulissen läuft und der bei dem politisch-wirtschaftlichen Spiel, bei dem die Zukunftschancen der Menschheit vertan werden, nicht mehr mitmacht. Die hohe Aufmerksamkeit, die Gruhl in der Öffentlichkeit seinerzeit fand, galt also nicht nur dem Buchautor sondern sie galt auch ihm als Person. Seine Leser und Anhänger dachten, endlich ein Politiker, dem wir in Fragen der Umweltpolitik auch vertrauen können. Es kam, geknüpft an die Person Herbert Gruhls, bei gar nicht wenigen Menschen die Hoffnung auf, es sei vielleicht möglich, angestoßen durch diesen Mann, eine Art Versöhnung von Mensch und Natur herbeizuführen.

Aus heutiger Sicht erscheint das wohl naiv, aber uns trennen jetzt mehr als dreißig Jahre düsterer Erfahrungen mit Umweltpolitik von dieser Zeit. Herbert Gruhl persönlich habe ich erstmalig auf einer Tagung in Murnau 1977 erlebt. Tagsüber hatte ein Seminar über Naturschutzprobleme im Alpenraum stattgefunden und die Seminarteilnehmer begaben sich abends zu einem Vortrag von Herbert Gruhl, der von einem anderen Veranstalter organisiert war. Gruhl sprach zu dem Thema: Die Grenzen des Wachstums – soweit ich mich erinnern kann. Nun hatte Gruhl, wie bekannt, eine nüchterne Art des Vortrags. Pathetische Rhetorik war ihm wesensfremd, er versuchte auch nicht, planvoll die Zuhörer zu emotionellen Aufwallungen aufzustacheln, sondern er wollte nicht mehr und nicht weniger als mittels Argumenten überzeugen. Dennoch waren die Zuhörer emotionell sehr beeindruckt und man hätte die vielzitierte Stecknadel fallen hören können. Dieser überzeugende Eindruck hatte mich dann auch angeregt, bei Gruhls Büro mich um einen Vortragstermin bei mir in Burghausen/Oberbayern zu bemühen. Ich bekam schließlich im Januar 1978 einen Termin für den kommenden Sommer. Veranstaltende Organisation war der Bund Naturschutz im Landkreis, für den ich die Öffentlichkeitsarbeit machte.

In den Monaten bis zu Gruhls Kommen ereignete sich allerdings in der Politik Überraschendes. Es tauchten neue Parteien wie die Grüne Liste Umweltschutz oder die Bunte Liste Hamburg auf, die bei Wahlen unerwartete Erfolge erzielten und in den Kommentarspalten der Presse fanden sich Erwägungen über den damals neu formulierten Begriff der Politikverdrossenheit. So fiel ich nicht aus allen Wolken als ich wenige Tage vor Gruhls Kommen erfuhr, dass er aus der CDU ausgetreten sei und plane, eine neue Partei zu gründen. Gleichzeitig wurde ich von Funktionären des Bund Naturschutz in Bayern e.V. angesprochen, doch in diese Partei einzutreten, damit, wie Landesgeschäftsführer Helmut Steininger behauptete, auch Leute von „uns“ darin vertreten wären und ein Gegengewicht gegen abenteuerliche Gestalten aus der kommunistischen Sektenszene gegeben sei, die auch in die neue Partei strömten. Gruhl, so Steininger, habe jetzt ein hervorragendes Grundsatzprogramm und wenn die neue Partei erst einmal stehe und in den bevorstehenden Landtagswahlkampf ziehe, dann würden auch er und andere Prominente aus dem Bund Naturschutz auf die Landesliste gehen und er, Steininger, werde dann den Kampf für die Erhaltung der Umwelt im bayerischen Landtag fortsetzen. Tatsächlich, das wissen wir ja auch aus Gruhls Memoiren, haben die führenden Köpfe der Umweltverbände Gruhl bei der Parteigründung schmählich im Stich gelassen. Gruhl nennt die Namen von Bernhard Grzimek, Horst Stern und Hubert Weinzierl und es verwundert, wenn man jahrzehntelange Erfahrung in Naturschutzverbänden hat, nicht, denn für diese Verbände gilt leider, dass sie oft mit rein symbolischen Maßnahmen zufrieden sind. Politischer Mut ist hier eher eine Seltenheit, denn man hat sich als Fernsehgröße (z.B. Grzimek) oder als Verbandschef im gesellschaftlichen Gefüge bereits gut etabliert.

Ich holte Herbert Gruhl wenige Stunden vor dem Vortragstermin am Münchner Flughafen ab und traf auf einen sehr angespannten, im Umgang schwierigen Mann, der sehr unter Zeitdruck stand, erwartete er doch noch unter meiner privaten Telefonnummer sehr kurzfristig ein Interview mit Radio Luxemburg. Für den Vortrag hatten wir den größten verfügbaren Saal in Altötting angemietet, unserer Kreisstadt, und wir hatten tatsächlich einen enormen Publikumsandrang, denn Gruhls Name war seinerzeit in aller Munde. Auch ein Bundeskanzler hätte damals bei uns nicht mehr Zuhörer angezogen. Mir fiel nach dem Vortrag die Rolle des Diskussionsleiters zu und es war deutlich, dass Gruhl, der jetzt Parteigründer war, als politischer Konkurrent behandelt wurde, der in teilweise sehr unfairer Weise von Aktivisten bereits bestehender Parteien aus dem Publikum angegriffen wurde. Gruhl reagierte darauf mit großer Ruhe, es war als habe er gar nicht bemerkt, dass er es hier mit Leuten zu tun hatte, denen es nicht um die Sache ging, sondern die ihm erst einmal irgendwie persönlich schaden wollten. Dies war auch genau der Moment, wo ich mich definitiv entschloß, Gruhls entstehender Partei beizutreten. Ich habe damals nicht geglaubt, dass diese neue Partei Erfolg haben werde, aber ich hatte erkannt, dass es für mich ehrenvoll wäre, diesen Mann und dieses gewagte Projekt zu unterstützen – und ich habe diese Ansicht nie revidieren müssen.

Einige Tage später fuhr ich dann zu einer ersten Zusammenkunft der neu zu gründenden Partei, der GAZ, nach München, wo ich mich wiederum in einem

übervollen Saal fand. Es war, wenn ich mich recht erinnere, ein Saal im Hofbräuhaus. Gruhl stellte als erste programmatische Basis für diese Partei das Grüne Manifest vor, betonte aber, dass dies noch nicht ein gewissermaßen von oben beschlossenes Parteiprogramm sein solle. Zu dieser Veranstaltung kam auch, etwas verspätet, Carl Amery. Da er keinen Sitzplatz mehr fand, nahm er kurzerhand vorn auf dem Fußboden Platz. Er meldete sich auch bald zu Wort und erklärte, er wolle die neue Partei unterstützen, es müsse nur sichergestellt sein, dass in diese Partei keine rechtsradikalen Kräfte eindringen könnten. Diese Bedenken waren berechtigt, allerdings war die Gefahr des Eindringens von kommunistischen Sektierern und chaotischen Randgruppen aller Art viel größer.

Es gab, das sollte sich in den kommenden beiden Jahren noch deutlicher zeigen, eine Vielfalt von politischen Sonderlingen, die in der Vergangenheit erfolglos ein winziges politisches Krautgärtchen gepflegt hatten und die nun glaubten, mit der ökologischen Problematik und dem bekannten Namen Herbert Gruhl wie mit einem Aufzug auf weithin sichtbare Bedeutung angehoben werden zu können. Für mich waren diese Versammlung und zahlreiche ähnliche in späterer Zeit enttäuschend, aber auch lehrreich zugleich. Ich hatte, trotz allgemeiner Skepsis, doch erwartet, dass das gebildete Bürgertum Gruhl unterstützen würde. Es war doch klar, dass das Umweltproblem in erster Linie in dieser Bevölkerungsgruppe wahrgenommen wurde, nicht von der Unterschicht und nicht von den Wirtschaftskreisen. Wo waren also auf diesen Versammlungen Vertreter aus der Wissenschaft, Vertreter aus den Naturschützerkreisen, wo lebenserfahrene, gebildete Menschen z.B. aus der Mittelschicht? Die traurige Wahrheit war: Diese Kreise waren fast nicht vertreten, hingegen schillernde Figuren wie Prof. Kaminski, der irgendwo im Ruhrgebiet eine Volkssternwarte betrieb und der in erster Linie wohl ein Selbstdarsteller war. Derartige Veranstaltungen erlebte ich in den folgenden Jahren noch mehrfach. Es schien dann in der grünen Mitgliederschaft geradezu eine Lust am Chaos zu bestehen, denn wenn wirklich jemand als Person sich bei solchen Gelegenheiten als kenntnisreich und rhetorisch gewandt erwies, dann taten sich alle möglichen Leute zusammen, um diesen gerade deshalb abzuschießen. Chaos also nicht als lastendes Verhängnis, sondern planvoll herbeigeführt, um im Nahkampfgerangel dann doch irgendwie eine einflussreiche Position zu erreichen. Es ging eben nicht um die Sache, es ging eben nicht um das Ziel, die Industriegesellschaft aus einer verhängnisvollen Entwicklung herauszuführen. Diese Problematik war nur Werkzeug, um sich in Szene zu setzen. Ich glaube, dies als ziemlich objektiver Beobachter ganz deutlich wahrgenommen zu haben, war ich doch selbst freiberuflich tätiger Arzt, mit Arbeit ohnehin überhäuft, in einer beruflichen Stellung, wie ich sie mir besser nicht wünschen konnte. Ich wollte im politischen Leben nun wirklich nichts mehr werden und die Mitgliedschaft in der GAZ bzw. bei den Grünen war für mich nur eine Verpflichtung, die sich aus meinen Überzeugungen ergab, keinesfalls eine berufliche oder gesellschaftliche Aufstiegsmöglichkeit.

In diesen Jahren zwischen 1978 und 1980 habe ich Gruhl auf solchen Versammlungen verschiedentlich privat gesprochen und beobachtet, wie er immer wieder aufs Neue über den Mangel an Anstand und Vernunft empört war. Auch programmatisch kam Gruhl mit den Grünen in diesen Jahren immer weniger zurecht. Gruhls Grundüberzeugung war, dass es an sozialen Wohltaten nichts mehr zu verteilen gab und dass man sich im Gegenteil darauf einstellen müsse, dass das Wohlstandsniveau sinken werde. Deswegen konnte er sich mit der damaligen Forderung nach der 35 Stunden–Woche bei den Grünen nicht abfinden. Gruhl hatte weiterhin ein konservatives Familienbild und programmatische Schwierigkeiten mit extremen feministischen Positionen. Programmatisch war bei den Grünen damals viel möglich, ich erinnere an die Forderung nach sexueller Selbstbestimmung bei Kindern unter 14 Jahren, hinter der offensichtlich Päderasten standen. Daß Gruhl dann 1981 bei den Grünen austrat, hat mich nicht weiter verwundert. Ich erinnere mich an eine Versammlung der GAZ, des Grünen Vorläufers, in Bonn, an der ich teilnahm und die Gruhl nach seinem Ausscheiden bei den Grünen einberufen hatte. Es zeichnete sich die Gründung einer zweiten ökologischen Partei ab. Allerdings war mein Eindruck von dieser Versammlung leider auch nicht ermutigend. Ich glaubte, dass die Basis zahlenmäßig zu schwach sei und dass es auch an profilierten Köpfen fehle. Politik ist ein Handwerk, das war mir damals klar, wo man gewisse Befähigungen mitbringen muß und an solchen Leuten schien es mir zu fehlen. Ich schrieb deshalb einen Brief an Gruhl, um ihm meine Bedenken mitzuteilen.

Die Dinge nahmen ihren Verlauf und die ÖDP wurde gegründet und ich bin Gruhl in diese Partei dann doch noch gefolgt, ohne meine persönlichen Bindungen an grüne Aktivisten aus meinem Heimatbereich aufzugeben. Ich habe die ÖDP allerdings eher als Gruhl wieder verlassen und zwar nicht aus Opposition, sondern aus Skepsis hinsichtlich der Chancen dieser Partei, vor allem aber, weil ich im Naturschutz zusätzliche Funktionen übernommen hatte und schon aus Zeitgründen keine Parteiaktivitäten mehr erbringen konnte.

Herbert Gruhl traf ich dann 1987 wieder auf einer Veranstaltung in Eggenfelden/Niederbayern. Gruhl machte bei dieser Gelegenheit einen sehr gelösten, überaus freundlichen Eindruck. Er schien eine ganz andere Person zu sein als in den Jahren der Anspannung zwischen 1978 und 1981. Gruhl begrüßte mich sehr herzlich und er schien sich sehr zu freuen mich wiederzusehen, obwohl ich bei den ganzen Wirren der Parteiaktivitäten der Vergangenheit ja immer nur eine unwichtige Figur im Hintergrund gewesen bin. Seinen Vortrag begann Gruhl dann mit einem Satz, der etwa so klang: „Wir sind nur eine kleine politische Gruppierung, aber wir sind beseelt von der Überzeugung, dass ein überlebenswichtiger Wechsel in der Politik erforderlich ist und diese bedeutende Aufgabe gibt uns die Kraft, die notwendige politische Arbeit zu leisten“.

Gruhl hatte zur Zeit der Parteigründungen gedacht, die neue politische Gruppierung werde sich an die Spitze der Ökologiebewegung setzen und er hatte auf die Resultate von Umfrageergebnissen gehofft, denen zufolge die Bevölkerung den Umweltgefahren eine ganz hohe Bedeutung beimäße. Daher die bewusst großartig gewählte Formulierung Grünes Manifest für die Grundsätze, die vor der GAZ Gründung formuliert worden waren. Er hatte wohl zunächst im Stillen gehofft, es käme zu einem welthistorischen Einschnitt im politischen Leben unseres Landes und der Industrieländer überhaupt. Diese Einschätzung hatte er 1987, als ich ihm in Eggenfelden wieder begegnete, aufgegeben und deswegen traf ich jetzt einen Herbert Gruhl, von dem eine Last abgefallen war, nämlich eine wahrhaft übermenschliche Aufgabe zu leisten und gleichzeitig zu sehen, dass es an respektablen Mitstreitern fehle.

Herbert Gruhl und wir alle haben lernen müssen, dass die Rangfolge der Bedeutung von politischen Problemen, die bei demoskopischen Befragungen angegeben werden, von den sozialen Umständen abhängen und dass, nachdem die hohe soziale Sicherheit der siebziger Jahre sich nicht halten ließ, andere politische Prioritäten sich in den Köpfen der Bevölkerung in den Vordergrund drängten.

Ich nahm dann nach Erscheinen des letzten Buches von Herbert Gruhl „Himmelfahrt ins Nichts“ den Kontakt zu Gruhl wieder auf und habe ihm in einem Brief dazu einige Anmerkungen übersandt. Hierauf antwortete er mit einem längeren Schreiben unter dem Datum vom 20. Juli 1992. Dort hieß es: „Ich stelle fest, dass Sie noch einer der wenigen sind, mit denen ich mich in geistiger Übereinstimmung befinde.“ Gruhl lud mich zu einem Besuch in sein Heim in Marktschellenberg ein und gab eine genaue Wegebeschreibung. Zu diesem Besuch ist es zu meinem nachhaltigen Bedauern nicht mehr gekommen. Zunächst war ich durch Verpflichtungen anderer Art verhindert und dann war es Gruhls Erkrankung, die einen Besuch unmöglich machte. Ich hätte Herbert Gruhl durch meinen Besuch gern meine persönliche Wertschätzung ausgedrückt. Das Schicksal hat dies leider verhindert.

Persönlich lernte ich Carl Amery Ende der siebziger Jahre bei Veranstaltungen bei uns im Landkreis kennen, zu denen ich ihn eingeladen hatte. Ich bin Amery aber auch bei Vorträgen in der weiteren Umgebung und vor allem an seinem Wohnort München begegnet. Zuletzt sah ich Amery acht Wochen vor seinem Tod im Jahre 2005. Er war durch Krankheit schon schwer gezeichnet und nur bei ständiger Sauerstoffzufuhr aus einer transportablen Vorratsflasche überhaupt in der Lage, sich zu bewegen und vom Podium zu seinem Publikum zu sprechen.

Amery war von Hause aus Schriftsteller und Publizist und wird gewöhnlich als Linkskatholik klassifiziert. Ich denke, dass die Bezeichnung Linkskatholik sicher für sein Herkommen zutreffend ist, ob dies auch für seine späteren Jahre, als er sich mit politischer Ökologie beschäftigte, noch so gesagt werden kann, erscheint mir zweifelhaft. Man kann hingegen sicher sagen, dass Amery ein religiöser Mensch war, konservativ im strengen Wortsinn, der sich deshalb von seinen Wurzeln nicht einfach lossagen wollte, dem aber die kirchliche Dogmatik ein zu enges Gehäuse gewesen sein muß, denn im Katholizismus wird manches vertreten, was mit einer aufgeklärten politisch-ökologischen Position nicht vereinbar ist.

Die Wege Amerys und Gruhls haben sich übrigens im Vorfeld der Veröffentlichung von Gruhls „Ein Planet wird geplündert“ gekreuzt. Gruhl berichtet in seinen Memoiren, Amery habe sein noch unveröffentlichtes Manuskript gelesen, ihn bestärkt, es so wie es war zu veröffentlichen und Amery habe auch bei der Suche nach einem Verleger geholfen. Ich hatte 1998 eine Unterhaltung mit Amery und bin dabei auch auf Gruhls Lebenswerk zu sprechen gekommen. Daraufhin entgegnete Amery: „Aber alles, was Gruhl geschrieben hat, war nicht wirklich neu“. Man kann diesen Satz vielleicht so verstehen, dass hier jemand Gruhl als Konkurrenten in der Vordenkerrolle aufgefasst hat. Wäre dem so, wäre dies ein grobes Missverständnis.

Es gibt heute – und gab in den siebziger Jahren – auf dem Gebiet der politischen Ökologie nichts Neues zu entdecken, vergleichbar etwa der kopernikanischen Wende in der Astronomie. Der Beitrag der Humanwissenschaften zur politischen Ökologie ist vergleichsweise klein. Die ökologische Forschung findet nicht in der Publizistik, sondern in den Naturwissenschaften statt. Für den politisch-ökologischen Autor geht es darum, eine Sprache zu finden, die dem Publikum klar macht, dass diese naturwissenschaftlichen Fakten dramatische Folgen für jeden einzelnen Menschen haben und dies ist in einer Weise darzustellen, die unter die Haut geht.

Nun war Amery ein sprachmächtiger Autor mit einem weiten Bildungshorizont, seine geschliffenen Texte zu lesen bereitet Vergnügen und er verstand es ganz großartig zu argumentieren. Bei Veranstaltungen pflegte er einen Text aus seinen gerade aktuellen Veröffentlichungen zum Thema vorzulesen, der eigentliche Höhepunkt war aber immer die anschließende Diskussion, denn Amery war ein Mann von scharfem Verstand, bei solchen Gelegenheiten ungeheuer präsent und einfallsreich, und so kamen dann die überraschendsten Gedankenverbindungen zustande, die die Zuhörer faszinierten. Ich wüsste niemanden, auf den der Begriff des Intellektuellen so zutrifft wie auf Amery. Sein Auftreten war in dieser Weise durchaus glanzvoll, und Amery tauchte hier auch nicht als ein Parteiaktivist auf, obwohl er natürlich ein ganz wichtiger Unterstützer der Grünen war und für ihren Zusammenschluß viel getan hat. So wurde er als Publizist wahrgenommen, der gewissermaßen nebenbei ein Protagonist der grünen Bewegung war, aber nicht direkt als politischer Konkurrent. Das ist eine ganz andere Situation als die, in der sich Herbert Gruhl befand.

Ohne Zweifel hat Gruhl für seine Überzeugungen ein hohes persönliches Opfer erbracht. Als Umweltfachmann der CDU hätte er, wenn er bereit gewesen wäre, sich ein bißchen zu verbiegen, eine bequeme Parteikarriere machen können. Amery ist auch durch die Beschäftigung mit der politischen Ökologie in keiner Weise aus seiner Position als anerkannter Publizist herausgefallen, was man feststellen kann, ohne seine Verdienste und sein persönliches Engagement zu schmälern. Er hat sich übrigens in den ersten Jahren sehr stark mit der grünen Partei identifiziert, während die Irrwege, die diese Partei nach Eintritt in die Regierungskoalition in Bonn bzw. in Berlin einschlug, auf seine heftige Kritik gestoßen sind.

Es war nach Gründung der Partei Die Grünen Amerys Plan, eine parteinahe Stiftung aufzubauen, wie sie bei den übrigen Parteien schon existierten. Amery tauchte bei Versammlungen der Grünen mit einem entsprechenden Konzept auf, das Problem war nur, dass die grünen Protagonisten die Notwendigkeit einer theoretisch-konzeptionellen Begleitung der Partei wohl nicht begriffen. Als dann Jahre später die Heinrich-Böll-Stiftung gegründet wurde, gab es ein erhebliches Postengerangel. Es ist nicht vorstellbar, dass Carl Amery sich diesem Milieu ausgesetzt hätte. So wurde in München 1980 die unabhängige E.F.Schumacher-Gesellschaft für politische Ökologie gegründet. Amery übernahm den Vorsitz, Max Winkler wurde Geschäftsführer.

Leider gelang es nicht, für diese Gesellschaft eine tragfähige finanzielle Basis zu schaffen, um hauptamtliche Mitarbeiter zu beschäftigen. Damit war die Wirksamkeit der Schumacher-Gesellschaft natürlich sehr eingeschränkt. Sie entwickelte sich zu einer kleinen, aber aktiven Vereinigung, deren Wirkung allerdings auf den Raum München beschränkt war und deren Mitglieder Freunde oder Unterstützer Carl Amerys waren.

Amery hat übrigens in der ökologischen Bewegung umstrittene Themen taktisch oft geschickt umgangen. So war ich Teilnehmer einer Veranstaltung zur Vorbereitung der Gründung der E.F.Schumacher-Gesellschaft, wo Amery

mit dem früh verstorbenen Manfred Siebker in Eggenfelden auftrat. Ein Zuhörer machte auf die dramatische Entwicklung der Weltbevölkerung aufmerksam. Amery antwortete: „Wir werden dem Thema unsere höchste Aufmerksamkeit zuwenden“. Tatsächlich ist das nicht erfolgt. Wir leben in einem übervölkerten Land, dessen demografische Entwicklung rückläufig ist. Wäre es da nicht einmal an der Zeit darauf hinzuweisen, dass dieser Rückgang der Wohnbevölkerung langfristig durchaus notwendig und positiv zu bewerten ist? Die demografische Entwicklung wird dann immer mit der Sorge um die Finanzierung des Sozialversicherungssystems verbunden, was nur zutrifft, wenn ihre finanzielle Basis weiterhin allein die geleistete menschliche Arbeit ist, andere Einkunftsarten, die anteilmäßig immer wichtiger werden, nicht herangezogen werden. Diese ständig wiedergekaute Idee von der Nichtfinanzierbarkeit der Rente bei der bekannten Veränderung der Bevölkerungspyramide ist unzutreffend, aber sie scheint schwer ausrottbar. Bei der Frage des Rückgangs der deutschen Bevölkerung spielen irrationale Ängste eine große Rolle. Hier wäre eine Aufklärung aus ökologischer Sicht dringend geboten, die aber aus Angst, als Blut-und-Boden-Ideologe abklassifiziert zu werden unterbleibt. Aus dem gleichen Grund gibt es keine ernsthafte Diskussion über die Zuwanderungsproblematik unter dem ökologischen Aspekt und das ist auch insofern beklagenswert, weil eine ethisch vertretbare Position ohne Berücksichtigung der Ökologie nicht gefunden werden kann. Dies sind Probleme, denen sich die politische Ökologie heute stellen muß und die leider nicht behandelt werden aus Furcht, die rechtsextreme Narrenkappe aufgesetzt zu bekommen. Statt dessen wird ein ökologisches Wolkenkuckucksheim errichtet, wo es weiterhin ununterbrochen mit dem Wirtschaftswachstum aufwärts gehen kann, wenn wir nur die richtige nachhaltige Technologie anwenden. Und dies in einem Land mit über 230 Menschen pro Quadratkilometer.

Aber kehren wir zurück zum Werk Amerys – soweit es die ökologische Problematik betrifft. Amery hat in seinem Hauptwerk „Die ökologische Chance“ den beeindruckenden Versuch gemacht, ein politisches Konzept zu entwickeln, wo ein Handlungsspielraum beschrieben wird, der sich an dem orientiert, was wir heute über die Erfordernisse des globalen Naturhaushaltes wissen. Dieses Konzept hat er ökologischen Materialismus benannt, Materialismus nur insofern, weil hier Naturgesetze die Grenzen des möglichen Handelns beschreiben – natürlich nicht dessen Inhalt! Amery hat dieses Konzept mit Appellen an Gewerkschaften und Kirchen verbunden mit der Bitte um Unterstützung und er hat auch auf Unterstützung durch archaische, mit dem Umgang mit der Natur verbundene Berufe, wie Bauern, Fischer und Jäger gehofft. Amerys Buch ist auch heute noch unbedingt lesenswert, aber ähnlich wie Gruhl, der eine Desillusionierung im Laufe seines politischen Lebens erfahren hat, die zur Konzeption des 1992 erschienen Buches „Himmelfahrt ins Nichts“ führte, so ist auch bei Amery im Laufe der Jahre die Skepsis gewachsen. 1998 sagte er zu mir: „Langfristig geht es um nicht mehr und nicht weniger als nur noch um das Stück Brot in der Hand“.

1994 erschien von Carl Amery die an Umfang kleine Schrift: „Die Botschaft des Jahrtausends“. Hier ist ein deutlich mehr resignativer Ton angeschlagen, dieses Werk ist durchaus in der Bewertung der Lage der Menschheit mit dem zwei Jahre zuvor von Gruhl erschienenen Werk „Himmelfahrt ins Nichts“ vergleichbar. Freilich hat Amery manches hinter einem schönen Pathos versteckt. Die beiden Autoren sind nach über zwanzig Jahren offensichtlich zu einer ziemlich gleichartigen Bewertung der politischen Lage gekommen. Hierauf reagiert Amery mit einer in getragenem Pathos gehaltenen Schrift, die man zutreffender als Predigt bezeichnen kann. Vorbei die Zeiten, wo kühl im Sinne des ökologischen Materialismus argumentiert wird. Hier eine Probe, der Schlussabsatz des Büchleins: „Vorläufig jedoch: auf unserem Abschnitt der Wüstenwanderung, ungetröstet durch die Lappalien des Zivilisationsbetriebs, rechts und links begleitet von den Skeletten und dem Schrott der Neo- Barbarei blicken wir empor und gewahren die gekreuzten, zu Fäusten geschlossenen Hände des abwesenden Gottes: Wählt. Das ist die Botschaft des Jahrtausends.“

Warum hat Amery hier die Tonlage einer feierlichen Predigt angenommen? In der ökologischen Perspektive geht es um eine Revolution im menschlichen Verhalten und es müssen ganz neuartige Handlungsnormen sich einbürgern. Nun sind aber Gefühle die Basis unseres moralischen Konzeptes. Jeder wird z.B. empört sein, wenn er ein elend in einer Schlinge zugrunde gegangenes Reh findet, denn diese Empörung ist auf die unmittelbare Anschauung zurückzuführen. Wir können in dieser Situation mit den gequälten Lebewesen mitleiden. Bei den ökologischen Gefahren handelt es sich aber um ein Leiden der Natur in zeitlicher und räumlicher Entfernung. Natürlich können wir eine ethische Begründungstheorie (Werner Theobald) entwickeln, warum dieses oder jenes in der Ferne Liegende verboten sei. Aber diese führt nur zu einer Einsicht, nicht zu Gefühlen. Und diese sind es, die letztlich handlungsleitend sind. Die drohenden weltweiten ökologischen Katastrophen sind auch geschichtlich ohne Beispiel, womit uns die Möglichkeit genommen ist, am Unglück unserer Vorfahren nachfühlend und mitleidend teilzunehmen und Vergangenes lebendig, d.h. mit Gefühl beladen, uns als zukünftiges Schicksal vorzustellen.

Die Stoffströme der Biosphäre können nicht nur dem Menschen dienen – aber wo ist die Grenze? Wir können ganz sicher nicht fortfahren Arten – Amery hat die Arten treffend Gedanken Gottes genannt – weiterhin einfach auszurotten. Durch nachhaltige Technologien allein werden wir um eine fundamentale Änderung unseres Lebensstils und eine radikale Minderung der Weltbevölkerung nicht herumkommen. Hier werden Illusionen verbreitet, die mit heute notwendiger ökologischer Politik nur noch wenig gemein haben.

Also ein Beispiel: Wir müssten auch wieder Wildnis zulassen, nicht überall, aber auf ausreichender Fläche und vernetzt, damit alle heimischen oder ehemals heimischen Arten in genetisch ausreichender Zahl hier in unserem Lande wieder leben können, d.h. auch Elch, Wisent und Braunbär. Erdgeschichtlich gesehen darf das Auftreten des Menschen der fortgeschrittenen technischen Zivilisation nicht zu einem Faunenschnitt wie zu Ende der Kreidezeit führen, wo durch eine kosmische Katastrophe u.a. auch die Saurier ausstarben. Im Gegenteil, der Naturphilosoph Klaus Michael Meyer-Abich hat einleuchtend und überzeugend die Stellung des Menschen in der Natur als ein Wesen, biologisch gesprochen: als eine Art bestimmt, die die Welt bereichern und verschönern kann, so wie es alle andern biologischen Arten auch tun. Klar, dass solche Forderungen in der Öffentlichkeit natürlich mit Gelächter und Ironie zur Kenntnis genommen werden, und es ist ja auch unabweisbar: Bei über 200 Menschen auf dem Quadratkilometer wird das nicht funktionieren. Folglich ist es Aufgabe der politischen Ökologie, Vorstellungen zu entwickeln, wie in einem Land mit abnehmender Bevölkerung, abnehmendem Rohstoff- und Energieverbrauch die Ökonomie und das System der Sozialversicherung funktionieren können. Ethisch gesprochen: Wir haben die Verantwortung für unsere Mitmenschen, für zukünftige Generationen, für die anderen Lebewesen und für das Land, in dem wir leben. Aber, wenn wir so unserer Heimat moralisch verpflichtet sind, wie steht es da mit unserer weltweiten ökologischen Verpflichtung? Was hat hier Vorrang? Bezugnehmend auf die heutige Situation spricht Amery von der Möglichkeit der religiösen Vollendung für den Einzelnen, durch diese Krise und durch das ökologische Denken. Eine Vollendung „ohne jeden metaphysischen Tauschhandel“, wie er sagt, aber mit einem anderen Naturverhältnis, wie es vielleicht in Himalayaklöstern, indianischen Schwitzhütten, christlichen Klöstern und Familien, jüdischen Gemeinschaften oder in islamischer Mystik schon verwirklicht sei. Er spricht hier von Heiligen, erklärlich aus seinem katholischen Herkommen und er spricht von einer notwendigen „Gelassenheit angesichts des Todes als einer notwendigen Verkehrsform des Lebens“, kurz in dieser Ameryschen Predigt wird auf etwas hingewiesen, was schon im antiken Denken, genauer in der Stoa, als Seelenruhe und wichtigstes Lebensziel genannt ist.

Hier will also der Autor nicht mehr nur im Sinne des ökologischen Materialismus aufklären, hier geht es nicht um Wissensvermittlung, hier möchte jemand aufrütteln, um ein anderes Verhalten zu erzielen. Vorher schon hatte er die Meinung geäußert, „dass die reine Überzeugung, die wissenschaftliche Diagnose, niemals genügen wird, Überleben, nachhaltiges und einigermaßen würdiges Überleben zu sichern!“. Amery erinnert uns daran, zu welcher Weiterentwicklung der Mensch fähig wäre; einzelne beweisen es. Dass aber die Menschheit in toto unter dem Druck der ökologischen Gefahr diesen Weg einschlägt, das wäre eine mehr als kühne Hoffnung.

Bis zu diesem Buch haben wir vieles an Parallelentwicklung und Vergleichbarkeit im ökologischen Werk von Herbert Gruhl und Carl Amery. Aber Amery war ja noch eine Lebensspanne von 11 Jahren vergönnt, Gruhl war bereits etwa ein Jahr tot und Amery konnte noch zwei weitere Werke zur politischen Ökologie herausbringen. Es ist dies erstens der Essay „Hitler als Vorläufer“, der 1998 erschien. Es handelt sich hierbei um ein wichtiges Buch, in dem der Zusammenhang zwischen der heute ja schon angebrochenen Phase der Knappheit der Ressourcen, der bald eine Phase der Knappheit an nutzbarem Land folgen wird, auf der einen Seite und der Entwicklung rechtsradikalen Gedankengutes auf der anderen Seite behandelt wird. Carl Amery hat hier eine Art Prognose formuliert, was uns politisch in der Zeit zunehmender Knappheit an Ressourcen und an nutzbarem Land droht. Im Buch „Global Exit“, 2002 erschienen, hat Amery den Kirchen eine Art Spiegel vor Augen gehalten, in dem sie erkennen können, welche Forderungen in der ökologischen Krise an sie gestellt sind. So haben wir mit Herbert Gruhl und Carl Amery zwei ökologische Denker vor uns, deren Arbeit trotz aller Unterschiede manche Gemeinsamkeit aufweist. Bei beiden überwiegt die Skepsis, was die Chancen der Menschheit angeht, die durch ihre technischen Mittel hervorgerufenen Gefahren letztlich doch noch irgendwie zu beherrschen.  Aber versuchen wir noch – in wenigen knappen Sätzen – etwas zu den Persönlichkeiten zu sagen: Was steckte hinter dem Engagement von Amery und Gruhl? Nehmen wir Gruhl: Man muß die Protokolle des Bundestages (ab Sommer 1978) lesen, um zu ermessen, welchem Druck der jetzt ganz auf sich allein gestellte fraktionslose Abgeordnete Gruhl ausgesetzt war. Redebeiträge waren ihm jetzt nur noch in allergrößter Kürze zugemessen und dann waren ihm zahlreiche Zwischenrufe schlichtester Geistesart sicher. Man hält deren unglaublich niedriges Niveau nicht für möglich, wenn man es nicht mit eigenen Augen gelesen hat. Der spätere Forschungsminister Riesenhuber hat sich hierbei besonders unrühmlich hervorgetan.

Warum setzt sich ein Mensch solchen Ärgernissen aus? Natürlich, Gruhl hatte ursprünglich geglaubt, die politische Ökologie, ein damals völlig neuartiges politisches Thema, sei eine politische Goldader. Aber Gruhl hat ja sehr bald gesehen, dass es, ganz im Gegenteil, ein Minderheitenprojekt war, und er ist dennoch bei der Sache geblieben. Nein, Gruhl hatte sich schon Jahre vorher auf die politische Ökologie geworfen, weil dies Thema ihn in einer bestimmten Weise ganz besonders persönlich herausgefordert hat. Gruhl war ja nun in einer bäuerlichen Familie unter materiell beschränkten Bedingungen aufgewachsen. Aus dieser Zeit hatte sich bei ihm in prägender Weise das Ethos der Selbstbeherrschung erhalten, wie es sich unter den Bedingungen der Knappheit entwickeln kann, wenn die meisten Wünsche und Begierden eben nicht befriedigt werden können. So kann eine Persönlichkeit reifen, die gelernt hat, materielle Wünsche durch eine innere Entwicklung zu überwinden, die andernfalls in der permanenten Saturiertheit nicht eingetreten wäre – wie natürlich auch eine weniger differenzierte Persönlichkeit durch den Mangel geradezu auf Macht und Besitz fixiert werden kann, das soll hier nicht bestritten werden.

Eines ist jedenfalls bei Gruhl sehr auffällig: Im Zentrum seiner Kritik stehen immer bestimmte Allmachtsphantasien und vor allem die Wachstumsideologie, deren Subjekt der Mensch ist, der sich durch unendlich steigenden Konsum letztlich selbst erlösen will. Es ist der Mensch unserer Zeit, der sich von der Sinnsuche seiner Vorfahren (in allen Kulturen!) abgewandt hat, weil er sie nicht mehr nötig zu haben glaubt. Materieller Besitz und dessen Ausweitung sowie Kontrolle der Natur, das ist die Antwort des Menschen in der modernen

Konsumgesellschaft auf die Sinnfrage. Von psychoanalytischer Seite ist diese Art von seelischer Verfasstheit z.B. von Horst Eberhard Richter sehr deutlich beschrieben worden (H.E.Richter „Der Gotteskomplex“, 1979). Die Lehre vom unendlichen Wachstum der Wirtschaft liefert der Konsumgesellschaft heutigen Typs hierfür die theoretische Grundlage. Die unsichtbare Hand, nach der Lehre von Adam Smith, reguliert auf wunderbare Weise den Egoismus der einzelnen Marktteilnehmer zum Wohl der menschlichen Gesellschaft. Freilich, die Grenzen und die Gesetze der Biosphäre sind hierbei, wie wir heute sehen, nicht bedacht, die der Mensch bei Strafe des Untergangs zu beachten hat. Ich denke, Gruhl hat am meisten die heutige Vorstellung herausgefordert, das Herstellen, Verbrauchen und Wegwerfen von immer mehr Gütern und allseitige Naturkontrolle lösten die Sinnfrage der menschlichen Existenz, weil dies in diametralem Gegensatz zu dem steht, was er im Leben selbst erfahren hat und wozu er sich im Sinne des klassischen Bildungsideals selbst entwickelt hat. Es ist doch so: Die Entwicklung der technischen Möglichkeiten des Menschen begleiten wie ein nicht abschüttelbarer Schatten die großen finalen Fragen, die, Heidegger zitierend, so lauten:

 

Wozu?

Wohin?

  • Und was dann?

  • Das sind die Fragen, die heute nicht mehr gestellt werden. Heute ist die bloße ökonomisch nutzbare Innovation gefragt, alles andere interessiert nicht. – Ich denke, die ökologistische Argumentation mit Umweltzerstörung und Ressourcenverknappung war bloß das empirische Material, das Gruhl gegen die heute weltbeherrschende Ideologie ins Feld geführt hat, die ihm schon in ihrem geistfeindlichen Kern unannehmbar gewesen sein muß. Sowenig ein Einzelner ohne Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung sinnvoll leben kann, sowenig kann eine Gesellschaft überleben, die keine für ihre Strukturen und Technologien sinnvolle Ethik entwickelt hat. Hier, also weit vor den ökologistischen Argumenten liegt der seelische Antrieb, der Gruhl und Amery bewegt hat. Insofern war Gruhl nicht bloß Umweltpolitiker, er war Zeit- und Kulturkritiker, ein philosophierender Beobachter und Mahner. Heute verstehen wir unter Philosophie den vom Katheter der Universität herab geführten endlosen Professorendiskurs. Wenn hingegen, wie es Pierre Hadot für die antiken Philosophen gezeigt hat, Philosophie eine Lebensform ist, dann können wir Gruhl und auch Amery als Umweltphilosophen bezeichnen, denn beide haben ihr Denken auch vorgelebt und dafür auch leiden müssen.

Unvermeidlich schließt sich hier die Frage an: Wie kommt es, dass so wenig Menschen in unserer Zeit eine vergleichbare Entwicklung nehmen? Amerys Bezugspunkt als ökologischer und religiöser Denker ist die Grundposition von Albert Schweitzer: Ich bin Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will. Hier hat sich also jemand von der Anthropozentrik des tradierten Christentums gelöst. Amerys religiöse Position ist eine durch das Herz und das Wissen des 21. Jahrhunderts gegangene religiöse Botschaft – keine einfältige Frömmelei. Tradierte Begriffe, denken wir an den des Reiches Gottes oder den des Menschen als Krone der Schöpfung bekommen einen anderen als den überlieferten Inhalt, aber es ist ein Inhalt, von dem Amery glaubt, es sei der ursprüngliche. Amery hat sonst fast nichts über sich selbst preisgegeben. Als sicher darf man annehmen, dass er selbst einen ziemlich streng ökologisch orientierten Lebensstil geführt hat, das ließ sich aus gelegentlichen Nebensätzen entnehmen, und dass ihm sein Einsatz für die politische Ökologie in der Öffentlichkeit die wichtigste Aufgabe war, wichtiger als seine schriftstellerische Arbeit.

Die Größe beider Persönlichkeiten liegt darin, dass sie den wohl chancenlosen Kampf gegen diesen Weg in den Untergang dennoch aufgenommen haben. Der Lebenslauf von beiden ist durch eine wunderbare Geradlinigkeit gekennzeichnet. Gruhl und Amery sind für eine Sache eingetreten, die erkennbar nur die Sache einer kleinen Minderheit ist, wodurch beide nur Mühen und Anfeindungen auf sich genommen haben. Andererseits: Ist ein Leben vorstellbar, das man mehr bewundern muss und das schöner ist als das Leben von Menschen, die bis zum letzten Atemzug all ihre Kraft für ein Ziel eingesetzt haben, das als überlebensnotwendig erkannt ist, das ethisch geboten und zugleich sorgfältig und selbstkritisch geprüft ist?

 “Naturkonservativ. 2008/2009”, Gerhard-Hess-Verlag, 2009, S. 90-110

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